Fahrt nach Skouries / Chalkidiki

Fahrt nach Skouries / Chalkidiki am Samstag den 26. September

Am nächsten Morgen war organisatorisch alles ganz schnell geklärt. Die Fahrer holten die Klein-Busse bei der Vermietung am Flughafen ab und beide Gruppen führen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Treffpunkt auf halber Strecke außerhalb der Stadt. Dadurch ersparten wir den Fahrern, sich durch meist dichten Verkehr in der Großstadt zu quälen.

Die ungleichen Gruppengrößen wurde durch den PKW von Anthi ausgeglichen, die mit nach Idomeni fuhr.
Wir hatten es sehr bequem zu fünft im Neunsitzer Bus. Am wolkenverhangenen Himmel konnten wir in der Ferne den kegelförmigen Olymp sehen. Die Götter hatten sich im Nebel verschanzt. R. meisterte die kurvenreiche Strecke souverän, auch als der Regen einsetzte, der immer beständiger und heftiger wurde.
In Anea, einem Ort ganz in der Nähe unseres Ziels, waren Transparente über der Straße gespannt. Wir konnten entziffern, dass „metalurgische Arbeitsplätze“ gefordert werden.

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Perka, ein grünes Paradies am Rand der Stadt

Thessaloniki, 25.09.2015

Am Freitag machten wir uns auf nach Perka. Perka 1-7 sind Gärten, die von verschiedenen Gruppen betrieben und selbst verwaltet werden. Sie befinden sich auf einem nicht mehr genutzten Kasernengelände. Die Gärten sind in kleine Parzellen aufgeteilt, in denen Obst und Gemüse angebaut werden. Es gibt auch ein paar Hühner und einen Hahn.
Perka
Ein wild kläffender Hund kündigte unser Kommen an.
Wir trafen in einem der Gärten Betty, die uns ein wenig über das Projekt erzählte.
2003 gab die griechische Armee das Gelände auf und zog auf ein anderes außerhalb der Stadt. Das Grundstück gehört seit 1912 dem griechischen Staat, der über die weitere Nutzung bisher nicht entschieden hat. Die Zwischennutzung zum Gartenbau wird bisher geduldet. Bewohnt sind die Gärten nicht, es gibt allerdings ein Gästehaus. Da es sich um Eigentum des griechischen Staates handelt, droht die Privatisierung: Das 3. Memorandum sieht vor, dass das griechische Staatseigentum verscherbelt wird, um damit die Schulden zu bezahlen.

Die Erde der Gärten wurde auf Rückstände untersucht; sie soll für den Gartenbau geeignet sein. Der Boden ist allerdings besonders steinig, weil das Militär den Boden mit kleinen Steinen (Kieselsteinen) bedeckt hatte, um Wege anzulegen etc.
Sie könnten eine größere Fläche bewirtschaften; der Bedarf wäre da, die Bevölkerung im Stadtteil und in Thessaloniki unterstützt das Projekt. Aber das Problem ist das Wasser: Sie nutzen zur Bewässerung das Grundwasser und davon gibt es im Sommer nicht genug. Sie bewässern abwechselnd die Gärten, nie alle gleichzeitig, es reicht nicht für alle. Einige haben Wasserspeicher aufgestellt. Es gibt außerdem noch eine Trinkwasserleitung, die an die Wasserversorgung Thessalonikis angeschlossen ist. Die Produkte werden für den Eigenbedarf angebaut. Was übrig ist, geben sie einem Laden im Stadtteil, der kostenlos Lebensmittel an Bedürftige verteilt.
Wir werden wiederkommen und haben Tel.-Nr. ausgetauscht. Wir möchten Kontakte zu anderen Gärten, wie z. B. den Prinzessinnengärten in Kreuzberg, herstellen. Perka ist auf dem Kasernengelände Karatasou. Der Bus 38 fährt direkt hin, der Bus 27 hält in der Nähe.
(Brian)

Vio.Me

Thessaloniki, 25.09.2015

Am Morgen hat sich die Gruppe noch weiter aufgeteilt. Einige treffen sich mit dem Professor Athanasius Marvakis, um von ihm zu erfahren, wie sich die aktuelle Situation auf die Unipolitik auswirkt. Einige wollen die Community-Gärten von Perka besuchen. Eine Gruppe ist mit einem ganz konkreten Flüchtlingsproblem beschäftigt, so dass wir eine sehr kleine Delegation sind, die zu vio.me fährt.

Vio.Me Foto: Giovanni Lo Curto

Vio.Me
Foto: Giovanni Lo Curto

Vorher machen wir noch einen kleinen Abstecher in die Gesundheitsstation. Ro und Cordula kommen mit und Christiane, die auf eigene Faust aus Göttingen gekommen ist und sich unserer Gruppe anschließt. Sie hat eine Riesentasche mit Medikamenten dabei, die sie in der „Klinik“ abgibt. Sokratis erwartet uns schon, aber auch viele andere alte Bekannte begrüßen uns.

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Zwei Südamerikaner kommen herein Sie sind mit Eva verabredet, um die Arbeit der Klinik kennenzulernen. Pablo kommt aus Kolumbien und Rodrigo aus Chile. Es stellte sich heraus, dass beide aus Kreuzberg kommen und Foto und Filmreportagen auf den Spuren der Flüchtlinge machen.
Die kurzen spannenden Unterhaltungen sprengten bald unser Zeitbudget, so dass Sokratis anbot uns noch in die Stadt zu fahren, wo wir Christina aus dem Café abholten, in der die Gruppe mit Mavrakis diskutierte. Letztlich kamen wir mit (nur) 20 Minuten Verspätung an der Bushaltestelle nahe Vio.Me an. Anthi erwartete uns bereits.
In der Fabrik wurden wir enthusiastisch von Dimitri begrüßt. Es war schon eine Journalistin aus Deutschland da, deren Gespräch mit der Buchhalterin wir leider störten. Dafür bezogen wir sie in unser Gespräch ein, das wir dann auf Deutsch führten. Wir versuchten die Vorgeschichte für sie so knapp wie möglich abzuhandeln. (Dabei blieb für die Neuen vielleicht einiges im Unklaren.)
Mich interessierte vor allem der Stand der juristischen Auseinandersetzung, nachdem die Alteigentümerin einen Titel zur Zwangsversteigerung erstritten hatte. Dimitri schien den juristischen Fragen wenig Bedeutung zu zumessen. „Mal gewinnen wir einen Prozess, mal verlieren wir einen“. Vor kurzem gab es einen kleinen Polizeieinsatz, weil der Konkursverwalter nicht auf das Werksgelände gelassen wurde. Der Konkursverwalter hat noch bis November Zeit um eine Bestandsaufnahme der Waren und der Maschinen und Anlagen zu machen. In den (fingierten) Büchern stehen noch 120 Tausend € Schulden an die Muttergesellschaft Lafarge. Diese sollen jetzt über eine Zwangsversteigerung beigetrieben werden. Lafarge hat vor kurzem seinen letzten Betrieb in Griechenland geschlossen und alle Arbeiter entlassen.

Diskussion bei Vio.Me Foto: Giovanni Lo Curto

Diskussion bei Vio.Me
Foto: Giovanni Lo Curto

„Letztlich haben wir hier unsere Genossenschaft und wir werden hier bleiben.“
Der Verkauf der Seife, die die neue Genossenschaft auf der Basis von natürlichen Rohstoffen wie Olivenöl, ätherischen Ölen aus Pinien und einheimischen Kräutern usw. herstellt, läuft sehr gut. Manchmal kommt die Produktion der Nachfrage gar nicht hinterher. Der manuelle Produktionsprozess ist sehr aufwendig und die Seife braucht zwei Monate zu reifen. Mit den anderen Produkten, Flüssigseife, Reiniger und Waschmittel, ist die Genossenschaft allerdings weniger erfolgreich. Es gibt Qualitätsprobleme, die gelöst werden müssen. Zurzeit sind nur noch 10 Leute in der Produktion beschäftigt. 12 weitere sind noch Mitglied der Genossenschaft. Die Arbeitszeit ist von Montag bis Freitag von 7 bis 15 Uhr. Dazu kommen noch Schichten um das Gelände zu bewachen. Die Arbeiter erhalten 30 € am Tag. Das ist soviel/wenig, wie das Arbeitslosengeld sein würde.
Die Arbeiter von Vio.Me heben immer wieder ihre demokratische Entscheidungsstruktur hervor. Alles wird in Vollversammlungen besprochen und entschieden. Alle ein bis zwei Monate gibt es bei Vio.Me auch Versammlungen von selbstorganisierten Initiativen aus der Region und aus dem ganzen Land. Natürlich geht es dabei um politische Fragen, wie man sich vernetzen kann und gemeinsam Widerstand organisieren gegen die menschenfeindliche neoliberale Politik.
Natürlich hat Syriza versprochen den Kampf von Vio.Me zu unterstützen und hatte es sogar zum Ziel erklärt, dass leer stehende Betriebe von den Arbeiter*innen übernommen werden…Die Erwartungen an die neue Regierung sind jetzt gering.
Apostolos, der Mann von Anthi, kommt dazu und berichtet von seinem Film, einer Langzeit- Dokumentation über den Kampf der Arbeiter*innen von Vio.Me der letzten vier Jahre. Der Film ist fast fertiggestellt und wird auf dem Dok-Filmfestival in Amsterdam im November gezeigt werden.

Reisegruppe und Vio.Me Workers Foto: Giovanni Lo Curto

Reisegruppe und Vio.Me Workers
Foto: Giovanni Lo Curto

Reisegruppe und Vio.Me Workers Foto: Giovanni Lo Curto

Reisegruppe und Vio.Me Workers
Foto: Giovanni Lo Curto

15 Uhr: Feierabend. Apostolos hatte ein kleines Restaurant auf der anderen Straßenseite entdeckt. Es war die Kantine einer kleinen Werft direkt am Meer. Das Essen ist vorzüglich. (Nie hatte ich so leckeren Tintenfisch.) Als Tischgetränk gibt es Tsiparo.
Wir diskutieren angeregt mit Anthi über die Situation in Griechenland und auch über die deutsche Politik. Ulrike wollte noch ein Interview mit den Arbeitern für die „Contraste“, wurde dann aber selbst aufs heftigste interviewt.
Nur die besonnensten von uns schafften es zum verabredeten Treffen der Gruppe um 19 Uhr im Hotel zu sein. Ich gehörte nicht dazu. Der Bus, mit dem ich zurückfuhr, blieb im Stau stecken wegen einer Demo auf der Egnatia. Irgendwann stiegen alle Leute aus und gingen zu Fuß weiter. Ich beschleunigte meine Schritte und holte dann die Demo noch ein. Dort treffe ich einige andere aus unserer Gruppe. Unsere Vollversammlung war wohl doch nur eine Teilversammlung. …

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Foto: Giovanni Lo Curto

….Nachtrag
Warten auf Godot.
Ich blieb im Hotel, weil ich noch auf zwei Leute aus der Athener Gruppe warten wollte. Sie waren in Distomo, hatten aber auch unser Programm in Thessaloniki als Option. Ich wartete an diesem Abend vergeblich, weil das Navigationsgerät, das sie benutzten, die beiden ordentlich in die Irre geführt hat.
Als Nachzügler ging ich noch ins Steki Methadoston. (Treffpunkt /Flüchtlingscafé)
Yannis wollte dort über die aktuelle Situation an der Grenze berichten. Den Vortrag habe ich verpasst. Danach gab es aber Rembetiko, Essen und Trinken mit Hunderten von Leuten: Eine Riesenparty… Und am nächsten Morgen sollten wir pünktlich um halb neun auf der Matte stehen.

18. September 2015 – Gedenkdemonstration Pavlos Fyssas

Ein Teil unserer Gruppe machte sich, per Bus, Metro oder Taxi auf den Weg nach Keratsini, einem Ortsteil von Piräus, wo vor genau zwei Jahren, am 18.09.2013 Pavlos Fyssas von den Nazis der „Goldenen Morgenröte“ ermordet wurde. Wir waren zweimal mit unserer Reisegruppe dort. Wir berichteten im Reisetagebuch 2013 und Reisetagebuch 2014.

Diesmal wollten wir uns der Demo zum Gedenken an Pavlos Fyssas anschließen. Die Auftaktkundgebung begann an der Stelle, in der P.Tsaladari 60, wo er ermordet wurde. Dort steht heute ein Gedenkstein. Wir trafen uns mit einigen Menschen aus der Stadtteilinitiative in Perama, die wir schon mehrmals besuchten und auch nach Berlin eingeladen hatten.

Es waren etwa 1.000 Leute auf der Demo. Was auffiel, waren die vielen Jugendlichen, ganz junge Leute, Anarchisten und organisierte Gruppen der radikalen Linken, die in Blöcken liefen. Viele Jugendliche hatten Tücher vor dem Gesicht. Einige hatten Stöcke, später flogen Steine, in einem Café wurden Stühle umgestürzt.

An der Demospitze gab es Diskussionen darüber, wer wo mitläuft; die Gruppen sind untereinander zerstritten. Wer da gegen wen kämpft, das erschloss sich uns allerdings nicht. Die Gruppen riefen Parolen wie: „Nie wieder Faschismus, Pavlos Fyssas soll leben, schlagt die Faschisten, gegen Faschismus und Imperialismus…“

Wir haben uns z. T. unter die Demonstranten gemischt, uns den Demozug angesehen oder sind ganz hinten mit unserem Transparent mitgelaufen – zur eigenen Sicherheit. Gegen Ende der Demo warf die Polizei Tränengaspatronen in den Demozug. Eine von uns hat es erwischt –mit viel Wasser kämpfte sie noch eine ganze Weile gegen das Tränengas an.

Wir sahen einige ausgebrannte Müll-Container; ein Supermarkt wurde „entglast“ und aus einem Vodaphone-Shop qualmte es.

Trotz der Steine, die flogen und der brennenden Container – es war keine kraftvolle Demo. Mir schien das eher wie ein Ritual und ich fand es schade, dass nur so wenige Menschen auf der Demo waren. Sicher, es war nicht die einzige Veranstaltung zum Gedenken an Pavlos Fyssas, aber ich hatte mehr erwartet. Die Menschen, die am Rand standen und sich das Spektakel ansahen, AnwohnerInnen, Angestellte und die InhaberInnen der kleinen Läden und Cafés, wollten sich nicht zur Demo äußern. Aber alle, die ich gefragt habe, wussten, warum beziehungsweise wogegen demonstriert wurde.
Einige von uns sind anschließend mit dem Taxi nach Piräus gefahren, denn es fuhren keine Busse. Der Taxifahrer blieb völlig gelassen und umkurvte einfach an die brennenden Container, die auf der Fahrbahn lagen. Er wählt SYRIZA, weil er den Euro behalten will. Sein Geschäft läuft gut, trotz der Krise. Seine Fahrgäste sind sowohl Touristen als auch Einheimische.

Brian

Der Besuch im Parlament

Zoe Konstantopoulou in Exarchia mit den Solidaritätsreisegruppe. Foto: Giovanni Lo Curto

Zoe Konstantopoulou in Exarchia mit den Solidaritätsreisegruppe.
Foto: Giovanni Lo Curto

Mittwoch, 23.09.2015

Nach dem Treffen mit den Basisgewerkschaften gingen wir am Dienstagabend
gemeinsam zum Essen in eine Taverne im Stadtteil „Exarchia“. Der Zufall wollte es, dass sich Zoe Konstantopoulou, die unerschrockene Parlamentspräsidentin, ebenfalls dort aufhielt.

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Jemand muss ihr von unserer Solidaritätsreise erzählt haben. Denn auf einmal hiess es, auf einer Pressekonferenz im griechischen Parlament werde morgen der Bericht der Wahrheitskommission über die öffentlichen Schulden Griechenlands erläutert. Und nun soll eine Delegation von uns daran teilnehmen und angeblich kurz unsere Reisegruppe vorstellen. Andi hatte keine Lust, ins Parlament zu gehen, und sagte zu uns: „Macht ihr das!“ Eine Liste mit unseren Namen wurde übergeben, damit wir am nächsten Tag beim Eingang identifiziert und hereingelassen werden können.

Zoe Konstantopoulou. Bericht der Wahrheitskommission über die öffentlichen Schulden Griechenlands. Foto: Giovanni Lo Curto

Zoe Konstantopoulou. Bericht der Wahrheitskommission über die öffentlichen Schulden Griechenlands.
Foto: Giovanni Lo Curto

Als ich um die Mittagszeit vor dem Parlamentsgebäude auf Ulrike und Brian warte, stehen dort scharenweise Touristen und fotografieren die folkloristisch anmutende Wachablösung am Grab des unbekannten Soldaten. Schlagartig wird mir bewusst, in welch privilegierter Stellung unsere Reisegruppe ist. Während die allermeisten sich mit dem Betrachten der Parlamentskulisse begnügen müssen, werden wir in Kürze die wohl einmalige Gelegenheit haben, einen Blick dahinter zu werfen und – obgleich nur als Zuschauende – an einer wichtigen Auseinandersetzung der griechischen Politik teilzuhaben.

Der Eingang zum Parlament befindet sich an einer Stirnseite des Gebäudes und ist gut bewacht. Es ist dasselbe Prozedere wie bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen. Anschliessend werden wir von einem der Sicherheitsleute ins Innere der heiligen Hallen begleitet. Allerdings nicht ohne zuvor eine weitere Kontrolle durchstehen zu müssen, bei der der Reisepass eingezogen wird und alle ein Ansteckschild erhalten, das sie als rechtmässige Besucher_innen ausweist.

Die Konferenz wird in einem Nebensaal des Parlamentes abgehalten. Die
Ausstattung ist dieselbe, samt Fernsehkameras, die das Geschehen von allen Seiten filmen. Zoe Konstantopoulou eröffnet die Veranstaltung, die sich schnell einmal als öffentliche Tagung der Wahrheitskommission entpuppt, die aus hochkarätigen Wissenschaftlern verschiedener Länder zusammengesetzt ist, darunter Eric Toussaint, Dozent an den Universitäten Lüttich und Paris VIII und Vorsitzender des Komitees zur Streichung der Schulden der Dritten Welt.

Ulrike, Rainer und Brian Delegation reisegruppe. Bericht der Wahrheitskommission über die öffentlichen Schulden Griechenlands. Foto: Giovanni Lo Curto

Ulrike, Rainer und Brian Delegation reisegruppe.
Bericht der Wahrheitskommission über die öffentlichen Schulden Griechenlands.
Foto: Giovanni Lo Curto

Simultanübersetzungen gibt es auf Griechisch, Englisch und Französisch. Wer keiner dieser Sprachen mächtig ist, hat das Nachsehen. Ich versuche, den Vorträgen auf Französisch zu folgen. Die Übersetzung ist jedoch bestenfalls mittelmässig, so dass mir oft der Zusammenhang entgeht. Das ist sehr schade, denn die Ausführungen von Zoe Konstantopoulou über den bisherigen Verlauf der Wahrheitskommission und über die Steine, die ihr in den Weg gelegt werden, sind – soweit ich es verstanden habe – sehr brisant. Auch nach ihrer faktischen Absetzung als Parlamentspräsidentin (zu einer von ihr im August einberufenen Sitzung erschienen nur ganz wenige Abgeordnete) nahm sie ihre Funktion weiterhin wahr und reiste anfangs September, als das griechische Parlament bereits aufgelöst war, nach New York, um an der 4. Weltkonferenz der Parlamentsvorsitzenden zu sprechen. Ihre auf Englisch gehaltene Rede ist auf YouTube dokumentiert: www.youtube.com/watch?v=oiTvwZKyuoY (oder kann hier nachgelesen werden: http://cadtm.org/Zoe-Konstantopoulou-s-speech-at).

Dort findet man übrigens auf dem TV-Kanal des hellenischen Parlamentes auch die gesamte Tagung der Wahrheitskommission (www.youtube.com/watch?v=_l1NVaT08fQ), allerdings nur in griechischer Sprache.

Im Laufe des Nachmittags kommt auf einmal Giannis Stathas, der kämpferische
Aluminium-Arbeiter aus Distomo, herein. Als er uns erkennt, grüsst er erfreut mit erhobener Faust quer durch den Saal und setzt sich anschliessend zu uns hin. Im Juli 2012, beim überraschenden Wahlerfolg von Syriza, wurde er als einziger Industriearbeiter ins Parlament gewählt. Da er sich der „Laiki Enotita“ angeschlossen hat, ist er nun sein Abgeordnetenmandat losgeworden. Ob er darüber unglücklich ist? Danach fragen konnte ich ihn nicht, doch ich erinnere mich, wie er uns im Mai 2013 in Berlin erzählte, seit er im Parlament sitze, habe er zum ersten Mal Magenprobleme. Später einmal machte er klar, was ihm Magenschmerzen bereitete: „Früher glaubte ich immer, der Feind stehe gegenüber. Nun musste ich feststellen, dass er auch neben mir sitzt.“ Das war zu einem Zeitpunkt, lange bevor Syriza Regierungspartei wurde.

parlament5Nur nebenbei sei erwähnt, dass wir keine Gelegenheit bekommen haben, der Wahrheitskommission unsere Reisegruppe vorzustellen. Das war wohl ein Missverständnis, das ich sehr bald als solches vermutete, obwohl wir das beklemmende Gefühl nie ganz los wurden, wir könnten vielleicht doch noch aufgerufen werden, um dann auf Griechisch, Englisch oder Französisch unsere Stellungnahme abzugeben. Glücklicherweise blieb uns das erspart.

Um halb fünf, nachdem unsere Aufnahmefähigkeit merklich nachgelassen hatte, beschlossen Ulrike und ich, den Saal zu verlassen. Brian musste bereits vorher weg. Er hatte die Fahrkarten, mit denen ein Teil der Reisegruppe mit dem 16 Uhr-Zug nach Thessaloniki fuhr.

(Rainer)

 

Treffen mit Basisgewerkschaften

Athen, 22.09.2015

Zuerst erläuterte Nicos (Gewerkschaft Buch und Papier) uns, wie die Gewerkschaften in Griechenland organisiert sind.

Treffen mit Basisgewerkschaften. Foto: Giovanni Lo Curto

Treffen mit Basisgewerkschaften.
Foto: Giovanni Lo Curto

Es gibt 3 Ebenen der Organisation:

  • Basisgewerkschaften in den Betrieben
  • Branchengewerkschaften in jeder Stadt (Zusammenschlüsse aus Betrieben/Branchen/Regionen)
  • Dachverbände:
    • GSEE für Beschäftigte in Privatunternehmen
    • ADEY für Beschäftigte in staatlichen Unternehmen

Vor der Krise war der gewerkschaftliche Organisierungsgrad schon eher niedrig, in der privaten Wirtschaft bei ca. 10-12 %, bei den Staatsangestellten waren ca. 30% gewerkschaftlich organisiert.

In der Krise geriet auch die Gewerkschaftsbewegung in eine Krise. Viele Gewerkschafter in der Privatwirtschaft wurden arbeitslos, das Tarifrecht wurde ausgehebelt. Dadurch wurde es schwieriger, Leute vom Sinn gewerkschaftlicher Arbeit zu überzeugen. Der Mindestlohn ist staatlich festgelegt und beträgt zurzeit 586 EUR brutto/Monat. Tarifverträge gibt es nicht mehr, das Tarifvertragsrecht wurde von der TROIKA außer Kraft gesetzt.

In Griechenland gibt es zurzeit 1,2 bis 1,3 Mill. Arbeitslose. Auch dadurch haben die Gewerkschaften an Bedeutung verloren.

Die großen Verbände haben sich mehr um die eigenen Funktionäre gekümmert als um Arbeitskämpfe. So haben z. B. die Energieverbände die Memoranden unterstützt. Die Gewerkschaften sind nach Parteinähe organisiert.

1. Basisgewerkschaft Buch und Papier:

Nikis und Nikiforos berichteten über ihre Situation und über die Arbeitskämpfe, die sie führen.

Die Entwicklung im Buchhandel geht dahin, dass die Buchhändler_innen nicht mehr nur Bücher im Sortiment haben, sondern auch elektronische Geräte, wie z. B. Tablets. Die Gewerkschaft Buch und Papier hat daraufhin ihr Statut geändert, so dass auch nicht nur Buchhändler_innen, sondern auch Verkäufer_innen von elektronischen Geräten Mitglied werden können. Nur ein kleiner Teil der in Buchhandlungen Arbeitenden ist gewerkschaftlich organisiert. Viele Buchläden mussten wegen der Auswirkungen der ökonomischen Krise schließen. Die Angestellten wurden daraufhin meistens arbeitslos. In der Gewerkschaft können sich auch Arbeitslose organisieren, d.h., sie können Mitglied bleiben, wenn sie ihren Job verlieren.

Die Gewerkschaft hat ca. 500 Mitglieder. An der Vollversammlung, die letzte Woche stattfand, haben sich 130 Leute beteiligt. Es gibt einen Kern von 20-30 Aktiven.

Der größte Erfolg der Gewerkschaft war ein branchenweiter Tarifvertrag gewesen. Als dieser in der Krise außer Kraft gesetzt wurde, war das ein schwerer Schlag für die Gewerkschaft.

Sie kämpfen heute für bessere Arbeitsbedingungen und haben es erfolgreich durchgesetzt, dass Leute, die entlassen wurden, wieder eingestellt werden mussten. Solche Erfolge stärken die Moral, erhöhen die Anziehungskraft der Gewerkschaft. Sie kämpfen gegen die Einführung der Sonntagsarbeit, der Arbeit an allen sieben Tagen der Woche. Die Gewerkschaft ruft regelmäßig dazu auf, sonntags zu streiken. Sie stellen sich dann mit Flyern vor die Geschäfte und haben so gerade erst in der Haupteinkaufsstraße von Athen 40 Geschäfte blockiert. Die Angestellten in den Geschäften haben sich allerdings zum größten Teil dem Streik nicht angeschlossen.

Treffen mit Basisgewerkschaften. Foto: Giovanni Lo Curto

Treffen mit Basisgewerkschaften.
Foto: Giovanni Lo Curto

Sie lehnen jede Art von Stellvertretung ab, wollen nicht für andere kämpfen, sondern kämpfen mit anderen zusammen für ihre Rechte. Die Zusammenarbeit mit anderen Gewerkschaften ist für sie wichtig, ebenso wie die Zusammenarbeit mit Stadtteilinitiativen sowie mit Partnern in Arbeitervereinen. Sie führen gemeinsame Kämpfe mit Flüchtlingen, Antirepressionsbewegungen, Drogeninitiativen, Zapatisten.

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Und sie kämpfen gegen die Kriminalisierung und Verfolgung von Gewerkschaftern. Nikos ist Vorsitzender der Gewerkschaft. Er wurde im Losverfahren dazu bestimmt. Er fing an, im Buchhandel zu arbeiten, als es noch Tarifverträge gab. Als der Betrieb, in dem er arbeitete, schließen musste, standen alle Angestellten auf der Straße. Er ist jetzt in einer Buchhandelskette beschäftigt, die Schreibwaren, Bücher und Elektroartikel verkauft. Sie hat ca. 1.300 Angestellte.

Der Mindestlohn betrug bis zur Krise 850 Euro brutto. Er wurde auf 580 Euro abgesenkt, unter 25Jährige „dürfen“ noch weniger verdienen.
Die meisten seiner Kollegen haben Individualverträge unterschrieben und Syriza gewählt.

Die Arbeitsverträge enthalten meistens Klauseln, wonach gewerkschaftliche Betätigung verboten ist; d. h., man muss unterschreiben, kein Gewerkschaftsmitglied zu sein. Das ist zwar rechtlich nicht zulässig, aber viele lassen sich dadurch einschüchtern und es erschwert die gewerkschaftliche Organisierung.

Der Gewerkschaftsbeitrag beträgt 15 Euro im Jahr.

Viele seiner Kolleg_innen haben einen Uni-Abschluss und sind in diversen Bewegungen aktiv, haben allerdings keine Erfahrung mit gewerkschaftlicher Organisation. Sie haben in der Regel 4-Std.-Verträge mit flexiblen Arbeitszeiten und werden oft mit Coupons bezahlt: Das ist eine Art von Lohnzuschuss. Sie erhalten die Coupons vom Staat, der Arbeitgeber muss weniger Lohn zahlen, spart also Lohnkosten.

Die TROIKA hat das Tarifrecht ausgehebelt, der Mindestlohn wurde als Gesetz verabschiedet. Für die Leute, die in den Ketten arbeiten, herrschen Arbeitsbedingungen wie auf einer Galeere.

Die Waffe der Gewerkschaften ist der Streik; es geht darum, Widerstandszentren zu bilden.

2. Gewerkschaft der Servicekräfte und Köche etc. (Gastgewerbe)

Treffen mit Basisgewerkschaften. Foto: Giovanni Lo Curto

Treffen mit Basisgewerkschaften.
Foto: Giovanni Lo Curto

Babis und Kiriakos erzählen:
Es geht zu wie in einem Schlachthaus. Es gibt viel „Schwarzarbeit“, also Beschäftigung ohne Sozialversicherung, ohne Steuern, Geld bar auf die Hand (oder gar nicht). Viele Arbeitgeber haben Kontakt zur griechischen Mafia und terrorisieren ihre Angestellten. Migranten sind oft illegal beschäftigt, z. B. als Tellerwäscher, zu Minilöhnen, arbeiten in der Saison sieben Tage die Woche 15 Std. am Tag.

Oft sind es junge Leute, die sich etwas dazuverdienen wollen oder ihren Job als vorübergehend betrachten, bis sie etwas Besseres gefunden haben. Daher akzeptieren sie diese miesen Arbeitsbedingungen. Der Lohn beträgt 3-5 Euro pro Stunde und es handelt sich in der Regel um Schwarzarbeit. Einen normalen Arbeitsvertrag mit Zuschlägen für Nacht und Sonntagsarbeit hat in dieser Branche fast niemand.

Die gewerkschaftlich Organisierten sind in der Regel zwischen 20 und 35 Jahre alt. Die Basisgewerkschaft ist klassenbewusst und basisorientiert, ohne Fraktionen und Parteien. Es gibt einen rein formalen Vorstand, da dieser gesetzlich vorgeschrieben ist. Der aktuelle Vorstand wurde per Losverfahren bestimmt. Jeden Mittwoch findet eine Gewerkschafterversammlung statt, auf der über Strategie und Taktik diskutiert und von der Situation in den jeweiligen Betrieben berichtet wird. Dann wird entschieden, wo sie aktiv werden müssen. Meistens geht es um ausstehende Löhne; viele Interventionen sind erfolgreich; es wurden Löhne von 1.000 bis zu 10.000 Euro eingetrieben. Gründe für Interventionen sind auch sexuelle Übergriffe von Chefs auf ihre weiblichen Angestellten, die ziemlich häufig vorkommen. Dabei kann es durchaus auch mal passieren, dass die Chefs durch Aktionen der Gewerkschafter ziemlich eingeschüchtert werden.

Sie arbeiten mit der Gewerkschaft der Angestellten im Lieferservice zusammen, die sich sehr gut zur Wehr setzen können und im Gegenzug von Kriminalisierung bedroht sind: Die Gewerkschaft wurde angeklagt, eine „kriminelle Vereinigung“ zu bilden. Gerade in Nachtclubs ist die Drohung mit körperlicher Gewalt alltäglich.

Die Gewerkschaften sind in einer Verteidigungssituation, sie führen Abwehrkämpfe. Es gibt aber auch Diskussionen darüber, wie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreicht werden kann und ob ein offeneres Auftreten günstig ist. In der Branche gibt es sehr viel Saisonarbeit mit extrem flexiblen Arbeitsbedingungen.

Die Gewerkschaft beteiligt sich zusammen mit der Gewerkschaft der Angestellten im Lieferservice und einer AG von Journalisten an einem Projekt, das ein gemeinsames Bündnis zum Ziel hat. Sie bereiten gerade den Gründungskongress vor.

Viele Gruppen sind eher atypische Gewerkschaftsgliederungen, weil sie die formellen Voraussetzungen für eine Gewerkschaft nicht erfüllen. Diese verfolgen momentan den Gründungsprozess.

In der Praxis arbeiten sie mit Stadtteilzentren und anderen Gruppen zusammen, denn viele sind nicht in einer Gewerkschaft, sondern in ihren Vierteln organisiert. Viele in der Gewerkschaft sind arbeitslos. Viele Beschäftigte in Griechenland arbeiten mal hier und mal dort und sind daher schwer zu organisieren. Wenn die alle auf die Straße gingen …

Die Gewerkschaft hat in Athen 400 eingetragene Mitglieder, in Ioannina ist eine Gewerkschaftsgruppe im Aufbau, in Thessaloniki und auf Kreta gibt es bereits Gruppen. In Athen sind 30-40 Leute aktiv. Der Gewerkschaftsbeitrag beträgt 5 Euro im Monat, wird aber oft nicht bezahlt, weil die Mitglieder das Geld dafür nicht haben.

Es gibt eine Solikasse für Gerichtskosten.

Bei Aktionen wird nicht nur eine Soliszene mobilisiert, sondern auf gemeinsamen Versammlungen werden Entscheidungen über künftige Aktionen getroffen.

Terror der Arbeitgeber:
Es gab einen Fall, in dem ein Chef eine Waffe gezogen und in die Luft geschossen hat. Aber der Schuss ging buchstäblich nach hinten los, weil es die Betroffenen in ihrer Gegenwehr bestärkt und die Solidarität unter den Kolleg_innen gefördert hat.

Bei einer Streikaktion der Gewerkschaft Buch und Papier hat der Chef die Polizei gerufen, die einige von den Angestellten festgenommen hat. Deren Gerichtsprozess beginnt demnächst.

Die Polizei kann bei solchen Aktionen nicht von sich aus einschreiten, sondern nur, wenn der Ladeninhaber die Polizei ruft.

Diskussion:
Ulrike wird durch die Beispiele, über die berichtet wurde, an die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland im 19. Jahrhundert erinnert. Die Beispiele zeigen immer wieder den Grund dafür auf, warum man sich organisieren muss. Die Situation in Griechenland lässt erahnen, in welche Richtung sich Europa entwickelt und wie wir es nicht haben wollen. Wir werden über Griechenland berichten und die Notwendigkeit betonen, die Vormachtstellung Deutschlands zu brechen, die solche Verhältnisse hervorruft. Unsere Aufgabe ist es, die Zusammenhänge deutlich zu machen zwischen den Verhältnissen in Deutschland und in Griechenland.

Ulrike E., Treffen mit Basisgewerkschaften. Foto: Giovanni Lo Curto

Ulrike E., Treffen mit Basisgewerkschaften.
Foto: Giovanni Lo Curto

Interessiert sich die Kundschaft für die Zustände, für die Arbeitsbedingungen in den Läden?

Nach den Aktionen kommt es vor, dass danach der Laden leer ist. Manchmal gehen alle, ohne zu bezahlen, aber viele haben auch schon resigniert (was sollen wir machen? Ist doch überall so…). Bei Streikaktionen der Gewerkschaft Buch und Papier werden vor dem Laden viele Diskussionen geführt, die dazu führen, dass die Leute dann dort nicht einkaufen.

Martin fragt nach der Konkurrenz zwischen den vielen einzelnen Gewerkschaften, wie sie damit umgehen. Teilweise gibt es gewerkschaftliche, aber auch politische Gründe dafür. Es gibt z. B. eine Berufsgewerkschaft der Buchhalter, die alle Buchhalter organisieren möchte, gleich, in welchem Bereich diese arbeiten. Die Aufsplitterung in viele Einzelgewerkschaften fördert das „Zunftdenken“.

Mittlerweile gibt es eine zweite Generation der Migranten aus Albanien, die sich in der Gewerkschaft organisiert. Die Leute orientieren sich in der Krise eher links. Rassistische und islamophobe Sprüche sind eher selten zu hören.

Die Mitglieder der „Goldenen Morgenröte“ outen sich nicht als solche.

Es gibt in Griechenland eine heftige Diskussion über die imperialistische Politik Deutschlands. „Wenn ich morgens aufwache, gibt es einen Menschen, den ich mehr hasse als alle anderen, und das ist mein Boss. Und der heißt ausgerechnet Germanos!“ (ein griechischer Nachname, der übersetzt „der Deutsche“ bedeutet).

14 griechische Flughäfen sind an ein deutsches Staatsunternehmen (Fraport) verkauft worden. Auch die Telekommunikation und die Energieunternehmen werden von deutschen Unternehmen aufgekauft. Griechisches Staatseigentum wird von deutschen Staatsunternehmen geplündert. Und deutsche Unternehmen wie z.B. Aldi und Lidl sind Vorreiter für den Abbau von Arbeiterrechten.

Doch „Arschlöcher“, Ausbeuter, sind auch die kleinen (griechischen) Bosse. Sie haben beispielsweise beim Referendum mit „nein“ gestimmt, weil die deutschen Unternehmen die kleinen griechischen Unternehmen fertig machen – dabei haben griechische Unternehmen in verschiedenen Balkanstaaten eine ähnliche Rolle gespielt.

Man muss gegen den eigenen, griechischen Imperialismus angehen, aber das ist schwierig, wenn das in Deutschland nicht ebenfalls passiert.
Die deutschen Arbeiter_innen sind keine Gegner, ganz im Gegenteil: Wenn die deutschen Arbeiter_innen es schafften, einen 5-Stundentag durchzusetzen, dann wäre das auch gut für die griechischen Arbeiter_innen.

Manfred fragt, ob sich durch die Syriza-Regierung für sie etwas geändert hätte.

Es war eine Illusion, die Syriza verbreitet hat, dass sich durch eine Syriza-Regierung etwas ändern würde. Jede Partei, die an die Regierung kommt, dient den Kapitalinteressen. „Ob rechts oder links, die Bosse sind dieselben!“ Ihre einzige Hoffnung sind die Kämpfe, die sie selbst führen.

Ihr Besuch im Arbeitsministerium hat sie an die Zeiten unter der PASOK erinnert. Alle ihre Forderungen trafen auf breite Zustimmung – aber nichts davon wurde umgesetzt. Eine Gewerkschaft muss sich immer der Regierung gegenüber in Opposition sehen und die Interessen der Lohnabhängigen vertreten. Die Gewerkschaften in Deutschland vertreten die Interessen des deutschen Staates, mit dem sie eng verflochten sind …

Wir übergaben 300,-€ als Spende für ihre Aktionskasse.

(Brian)

Besuch bei den Basisgewerkschaften (aus einer zweiten Perspektive)

Treffen mit Basisgewerkschaften. Foto: Giovanni Lo Curto

Treffen mit Basisgewerkschaften.
Foto: Giovanni Lo Curto

Wir kommen gerade an, als ein junger Mann spricht. Er ist bei der Gewerkschaft, die fuer Hotels und Gaststaetten zustaendig ist. Wir sitzen dicht gedraengt im Buero der Basisgewerkschaften und hoeren zu.
Die Zustaende in diesem Arbeitsbereich sind katastrophal, Ulrike nennt sie
fruehkapitalistisch. Die Stundenloehne liegen zwischen 3-4 Euro, der gesetzliche Mindestlohn betraegt 3,30 Euro netto. Eigentlich sind gesetzliche Lohnzuzahlungen vorgesehen, die werden aber nicht gezahlt. Die Arbeitszeiten sind unregelmaessig, 15-Stunden-Tage sind haeufig. Die Nachtlokale sind entweder selbst im Besitz der Mafia oder haben mafioese Verbindungen.

Die kleine klassenbewusste Gewerkschaft hat 400 eingeschriebene Mitglieder in Athen. Davon sind 30 – 40 Leute aktiv. Sie zahlen einen Monatsbeitrag von 5 Euro.

Es gibt eine Solikasse fuer Gerichtskosten und Rechtsanwaelte. Jeden Mittwoch gibt es eine Versammlung. Dort wird berichtet, was in den Betrieben
los ist, wo man aktiv werden muss. Die Mittel des Kampfes sind auptsaechlich
unmittelbare Aktionen. Hier wird mir klar, was das ist, die „direkte Aktion“. In den Texten, die ich aus Deutschland kenne,kam mir dieses Wort wie ein mysterioeses Zauberwort vor.

Sehr haeufig werden die Loehne nicht gezahlt, es gibt riesige Ausstaende von 1000 bis 10.000 Euro pro Person. Die Gewerkschaft trommelt eine kleine Aktionsgruppe zusammen, die entweder – je nach Staerke – Flugblaetter mit Informationen ueber den Betrieb verteilt oder den Laden blockiert, um die Lohnaustaende einzufordern.

Sehr haeufig gibt es sexuelle Uebergriffe auf die jungen weiblichen Angestellten. Hier geht die Gewerkschaft auch Wege,die fuer uns eher ungewoehnlich sind, fuer manche unserer Gewerkschafter vielleicht undenkbar. Aber bei uns bekommt man nicht immer sein Recht, wenn man den gesetzlichen Weg geht. In meinem eigenen Mobbing-Fall haette ich mir so eine mutige Truppe gewuenscht, die mir glaubt und mir zur Seite steht.
Bisher hatte die Gewerkschaft eine Verteidigungsposition. Jetzt wird auch ueber eine Strategie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen diskutiert. Geplant ist auch ein Verbund mit drei anderen Gewerkschaften und eine bessere Zusammenarbeit mit der Stadtteilversammlung.

Aus unserer Gruppe wird gefragt, wie die Chefs auf die gewerkschaftlichen
Interventionen reagieren. Es kommt vor, dass sie die Polizei holen. In einem Fall hat der Boss sogar in die Luft geschossen.

Jemand von uns macht den Vorschlag, die Gewerkschaft koenne ein Blatt erstellen mit den „guten“ Restaurants. „Hier essen Sie gut und fair!“ Dann soll es auch eine andere Karte geben „Hier sollen Sie die Zeche prellen!“
Wie ist das Verhaeltnis der Baisgewerkschaften zu Syriza? Syriza haette die Illusion verbreitet, die Dinge koennten sich aendern. Aber Regierungen koennen keine Veraenderungen bringen. Die Bosse bleiben dieselben.

Ich denke an unser Lied: “ Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter sein…“

Nikos berichtet von einer Erfahrung, die ihre Haltung verstaendlich macht: Es gab ein Treffen mit dem Arbeitsministerium. Im Unterschied zu der Zeit vor der Syriza-Regierung konnten sie ganz einfach hineingehen ohne Polizeikontrollen. Im Ministerium sassen Leute von der Strasse. Sie sagten „ja“ zu den Forderungen der Basisgewerkschaften: Wiederherstellung des Tarifrechts, keine Sonntagsarbeit, Stopp der Entlassungen, ja, das wollten sie auch. Was ist aus dem Ja geworden? Mit der Unterschrift unter das 3. Memorandum wurde es zum Nein.

Treffen mit Basisgewerkschaften. Foto: Giovanni Lo Curto

Treffen mit Basisgewerkschaften.
Foto: Giovanni Lo Curto

Diese Jungs von den Baisgewerkschaften wirken gelassen, zuversichtlich und
entschlossen. Mit ihren Aktionen sind sie erfolgreich, sie koennen Leute
gewinnen.Wie sollten sie sich erschuettern lassen von einer schwankenden Syriza? Das Oxi ist da und wird sich wieder ausdruecken, so sagen sie. Ich glaube es.

(Angela)

Besuch beim griechischen „Nationalrat für die Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg“

Athen, 26. September 2015

Vor unserem Abflug hatte Triantiafilia aus Berlin der Reisegruppe den Vorschlag gemacht, in Athen den Nationalrat zu treffen. Das lag auch in unserem Interesse, denn in Berlin wurde im Frühjahr auf Betreiben von Manolis Glezos ein Ausschuss zu den Reparationsforderungen gegründet: „Deutschlands unbeglichene Schuld(en)“. VertreterInnen der Initiative gehörten auch der Reisegruppe an und hatten Exemplare der für die Öffentlichkeitsarbeit gedruckten Plakate im Gepäck. So lag es nahe, nicht nur durch unseren Besuch in Distimo der Verbrechen der deutschen Wehrmacht zu gedenken, sondern auch die GenossInnen des Nationalrats in Griechenland zu treffen. Alle Regierungen der Bundesrepublik haben sich nach 1945 geweigert, über die griechischen Reparationsforderungen überhaupt zu verhandeln. Die Regierungen in Athen haben zwar nie formell auf die Reparationszahlungen verzichtet; sie haben es aber auch nie offiziell mit Nachdruck eingefordert. So bleibt die deutsche Schuld auch 70 Jahre nach Kriegsende unbeglichen. Zwar wurde im letzten griechischen Parlament ein interfraktioneller Ausschuss zur Aufstellung der griechischen Reparationsforderungen gebildet. Die Hoffnungen, dass die neue griechische Regierung das Thema aufgreift, müssen wir nach Unterzeichnung des neuen Memorandum wohl vorläufig begraben.

Zwölf Mitglieder des Nationalrats empfingen uns in den Büroräumen des Rechtsanwalts Sarantos Theodoropoulos. Es war nicht, wie ich vorher vermutet hatte, eine normale Sitzung des Gremiums, zu der wir kurz geladen waren. Die zum Teil sehr alten Kämpfer hatten sich eigens versammelt, nur um uns zu empfangen. So hatten wir genügend Zeit, um das Treffen mit einer ausführlichen Vorstellung aller TeilnehmerInnen zu beginnen.
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Von unserer Seite nahmen teil: Manfred Klingele (GEW Hamburg), Andreas Hesse (ver.di Berlin), Dietmar Görz (IG Metall Salzgitter, ehem. VKL-Leiter bei VW), Jan Rübke (ver.di Hamburg) und Klaus Lemnitz aus Berlin. Vor allem die ausführliche Vorstellung von Klaus weckte das Interesse unserer Gastgeber. In der DDR hat er als Metallfacharbeiter und später als Produktionsplaner gearbeitet. Nach der Vernichtung fast aller Industriearbeitsplätze in Ostdeutschland durch die eigens zur Privatisierung der Staatsbetriebe gegründete Treuhandanstalt, gehörte Klaus mit zu den Gründern einer Genossenschaft. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, kleinen Gewerbetreibenden und Selbständigen im kollektiven Rahmen Möglichkeiten zur Produktion und Verwirklichung ihrer Ideen zu bieten. Jetzt wurde Griechenland eine Treuhand verordnet mit einer ähnlichen Zielsetzung wie 1990 – die Organisation und Abwicklung des zu privatisierenden staatlichen Eigentums. Klaus wies darauf hin, dass die Treuhand keine Erfindung der damaligen Bundesregierung war. Schon die Nationalsozialisten bedienten sich der „Deutschen Revisions- und Treuhand AG“ zur Ausplünderung der eroberten europäischen Länder und zum Raub jüdischen Eigentums. Klaus kommt aus einer kommunistischen Familientradition. Seine Eltern und Großeltern zahlten ihren Widerstand gegen den Faschismus mit Zuchthausstrafen und der Einlieferung in das KZ Ravensbrück. Glücklicherweise überlebten sie. Klaus ist neben seinem vielfältigen politischen und sozialen Engagement deshalb auch Mitglied in der VVN und im Lagerkomitee des KZ Ravensbrück.

Geleitet wurde die Sitzung von Sekretär des Nationalrates, Stephanos Lineos. Er ist auch ein in Griechenland bekannter Schauspieler, dem man sein Alter von 87 Jahren nicht ansieht. Er wirkt wie Anfang 70. Zunächst entschuldigte er Manolis Glezos, der wegen anderer Verpflichtungen nicht kommen konnte. Aber Manfred und Rolf hatten ihn ja schon einige Tage zuvor besucht.

Zu Beginn gab Stephanos einen kurzen Bericht über den Widerstand in Griechenland und die Massaker der deutschen Wehrmacht. Nach der Sowjetunion hat die griechische Bevölkerung den höchsten Blutzoll des II. Weltkrieges bezahlt, vergleichbar nur mit dem damaligen Serbien. Weit über 100 Dörfer und Städte wurden während der Besatzung zu Orten grausamster Vergeltungsmaßnahmen an der Zivilbevölkerung. Sie wurden von der Wehrmacht völlig oder teilweise zerstört. 99 anerkannte „Märtyrerorte“ gibt es in Griechenland. Der Besatzung des Landes durch deutsche, italienische und bulgarische Truppen folgte auch eine beispiellose wirtschaftliche Ausplünderung. Bodenschätze, wie beispielsweise Chrom und Bauxit, wurden für die deutsche Rüstungsproduktion gebraucht. Aber nicht nur Bodenschätze, sondern fast die gesamte griechische Produktion sowie Maschinen und Anlagen wurden geraubt.1

Zum Ende des Krieges, vor ihrem Abzug aus Griechenland, zerstörte die Wehrmacht die noch verbliebene Infrastruktur, wie die Häfen, Eisenbahnwege, Züge, Straßen, Brücken und Transportfahrzeuge.

Der griechische Widerstand gegen die deutsche Besatzung war einer der erfolgreichsten in Europa. Er hat mit beigetragen zum militärischen Sieg der Alliierten und somit auch zur Beseitigung des Faschismus in Deutschland. (Anm.: Ursprünglich sollten verbündete italienische Truppen, die bereits Albanien erobert hatten, Griechenland besetzen. Sie scheiterten am militärischen Widerstand. So begann am 6. April 1941 der deutsche Feldzug gegen Griechenland und Jugoslawien, der für die Ostfront vorgesehene Truppenteile auf dem Balkan band.) Ab Sommer 1943 erstarkte der Widerstand unter Führung der kommunistischen Widerstandsbewegung EAM und ihres militärischen Arms, der ELAS. Bereits Ende November 1942 gelang es dem Widerstand, die wichtige Eisenbahnbrücke über den Fluss Gorgopotamos in der Nähe von Ypati zu sprengen. Der Abtransport wichtiger Rohstoffe für die deutsche Rüstungsproduktion konnte torpediert und zunehmend unterbunden werden. Im Sommer 1944 beherrschte die Widerstandsorganisation über 70 % des Landes.

Anlässlich der besonders kompromisslosen Haltung der Bundesregierung bei den Verhandlungen Griechenlands mit der Troika stelle sich für sie die Frage, ob dies nicht die späte Rache für den erfolgreichen Widerstand gegen die deutsche Besatzung sei? Aktuell gibt der Nationalrat eine kleine Zeitung heraus, mit der sie die Öffentlichkeit in Griechenland über ihre Zielsetzungen und Ansichten informieren.

Als erster stellte sich Stelios Samanos vor. Er kommandierte eine Partisaneneinheit, die 1944 für den Transport von Waffen aus den Bergen zum Widerstand in Athen zuständig war. Es handelte sich um erbeutete Waffen von italienischen und deutschen Besatzungstruppen. Die erste Ladung, schlecht getarnt, sollte am 17. August 1944 in die Stadt geschmuggelt werden. Die Wehrmachts-Kontrollen um Athen waren an diesem Tag glücklicherweise ausgedünnt, da eine Razzia in Piräus stattfand.2

Es gelang ihnen deshalb, die Kontrollposten unbehelligt zu passieren. Mehr als 100 Zivilisten wurden während der Razzia ermordet, mehrere Tausend wurden in das KZ Chaidari bei Athen gebracht. So erwies sich das Leid der Bevölkerung in Piräus zugleich als glücklicher Zufall für seine Partisaneneinheit. Danach haben sie die Waffen besser getarnt, in Fässern unter Stroh und Harz versteckt. Alle drei Tage haben sie eine Waffenlieferung nach Athen bringen können, erzählte Stelios.

Ignatios Axiotis, er erlebte den II. Weltkrieg als 5-10jähriger Junge, berichtete von seinen Erinnerungen: von der Bedrohung durch die deutschen Kampfflugzeuge und vor allem von der großen Hungersnot. Da es kein Getreide mehr gab, haben die Menschen aus allem möglichen, z.B. aus Reisig, Brot gebacken. Viele Menschen seien damals verhungert.3

Einher mit der Hungersnot ging eine Hyperinflation, so dass damals ein Ei mehrere Milliarden Drachme kostete. (Anm. Die Inflationsrate in Griechenland in den Jahren 1943/44 betrug maximal 8,55 Milliarden Prozent).

Den Erinnerungen der Zeitzeugen schlossen sich die Berichte aus den Märtyrerorten an. Charilaos Ermidis aus Kalavryta berichtet über die Ereignisse vom Oktober 1943. Die Volksbefreiungsarmee war in der Gegend sehr stark. Ihr gelang es 80 deutsche Soldaten gefangen zu nehmen, die sie gegen Geiseln der Deutschen Wehrmacht austauschen wollten. Dazu kam es nicht. Unter dem Kommando des Generalmajors Karl von Le Suire begann am 9. Dezember die 117. Gebirgsjäger-Division, mit der Zerstörung von Kalavryta und 25 Dörfern.4 Viele Angehörige von Charialos gehörten zu den Opfern des Massakers.

Maria Laina berichtete über das Massaker in Ypati, einer Gemeinde in Mittelgriechenland. „Am 2. Dezember 1942 wurden zehn Bewohner des Ortes an den Trümmern der Brücke über den Fluss Gorgopotamos exekutiert, da diese gesprengt worden war. Am 5. Dezember wurden weitere sechs Menschen von den Italienern hingerichtet. Samstag, der 14. Juni 1944 war wahrscheinlich der schwärzeste Tag der neueren Geschichte des Ortes. Da Ypati ein Zentrum der Widerstandsbewegung ELAS war, brandschatzten und plünderten deutsche Besatzungstruppen den Ort und exekutierten Zivilisten und Widerständler. 28 Menschen wurden getötet, 30 verletzt und 375 der 400 Häuser, byzantinische Kirchen und historische Villen wurden zerstört.“ (Wikipedia)

Christin Stamouli ist Rechtsanwältin und berichtete über ihre Erfahrung bei den Versuchen der Opfer und ihrer Nachfahren, eine Entschädigung für die Massaker von der Bundesrepublik zu erhalten. Sie setzt die Arbeit ihres verstorbenen Vaters fort, der die Klagen der Opfer von Distomo gegen die Bundesregierung geführt hatte. Bis heute blieben die Taten der Wehrmacht ungesühnt5 und alle Ansprüche auf Entschädigung wurden von der Bundesregierung negiert und von Gerichten abgewiesen.6

Das Treffen endete mit einer Geste besonderer Freundschaft und Verbundenheit von Seiten unserer Gastgeber. Wir sollten uns nicht als Gäste, sondern als Griechen fühlen. Sie würden sich bei einem Besuch bei uns in Deutschland auch als Deutsche fühlen. George Dolianitis, der aus einem reichen Hause stammt und sein Vermögen Stiftungen und Initiativen vermacht hat, lud uns anschließend zum Essen ein. In den ausführlichen Gesprächen beim Mittagstisch erwies sich Markos Charitos als „wandelndes Lexikon“, der uns viel über die Geschichte Griechenlands und auch die aktuelle Situation erläutern konnte.

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Der Termin beim Nationalrat gehörte für mich zu einem der interessantesten Treffen – vor allem auch durch Teilnahme der Zeitzeugen aus dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Zugleich eröffnet er die Möglichkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Initiative „Deutschlands unbeglichene Schuld(en)“, der VVN und dem griechischen Nationalrat.

(Andi)

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Fußnoten

1 Durch die erzwungene Ausfuhr fast der gesamten griechischen Produktion wurde noch eine positive Handelsbilanz zum Deutschen Reich in Höhe von 71 Mio. Reichsmark festgestellt, die dann mit extremen Besatzungskosten (auf Wunsch von Hitler in Aufbaukosten umbenannt) verrechnet wurden. Griechenland hatte von allen besetzten Ländern die höchsten Besatzungskosten zu zahlen. Um diese Zahlung sicherzustellen, wurde die Deutsch-Griechische Warenausgleichsgesellschaft mbH (DEGRIGES) gegründet, die von den exportierten Gütern des Landes zuerst die Besatzungskosten abzog. Die DEGRIGES stellte sowohl die Verbilligung griechischer Waren für Importeure als auch die Abschöpfung eines Großteils der verbliebenen Wertes sicher. Die Beschlagnahmung und der Abtransport umfassten nicht nur erzeugte Waren, sondern auch die Demontage sämtlicher Fertigungsanlagen. Einem Bericht des Life-Magazins zufolge waren landesweit alle Maschinen und Anlagen in damals bedeutenden Bereichen wie dem Textilsektor und der chemischen Industrie demontiert und nach Deutschland geschafft worden. Als es nichts mehr zu konfiszieren gab, konzentrierte sich die Ausbeutung auf Lebensmittel und Rohstoffe. Vertreter deutscher Firmen konnten sich vor Ort aussuchen, welche Güter sie haben wollten. Besonders die fehlenden Nahrungsmittel führten zu einer Hungerkatastrophe und einer Säuglingssterblichkeit von 80 %. In den Wintern 1941/42 und 1942/43 starben während der Großen Hungersnot 300.000 Menschen vornehmlich in den Ballungsgebieten den Hungertod. Von 300 im Oktober 1944 in Athen untersuchten Kindern waren 290 an Tuberkulose erkrankt. (aus wikipedia)

2 Die größte derartige Razzia fand am 17. August 1944 wiederum in Nea Kokkinia als Abschluss einer ganzen Serie von „bloccos“ statt, mit der die Deutschen auf die zugespitzten Auseinandersetzungen in Athen und Piräus reagiert hatten: „In den Vorstädten gibt es Demonstrationen aller Art, Sprechchöre, Kranzniederlegungen usw. In den letzten Tagen wurden von uns unter Heranziehung von Evzonen-Abteilungen rücksichtslose Razzien durchgeführt. Die aufgegriffenen Verdächtigen werden nach einer summarischen Sicht nach Deutschland für den Arbeitseinsatz abtransportiert.“ Bei der abschließenden Razzia am 17. August 1944 wurden mehr als 100 Menschen erschossen und mehrere Tausend nach Chaidari gebracht. Die Athener Polizei untersuchte die Vorkommnisse Anfang 1945 und stellte fest, dass die Razzia dem Ziel gedient hatte, Handwerker und Arbeiter zu verhaften, um sie zur Arbeit nach Deutschland zu schicken. Insgesamt erschossen Polizei-Gebirgsjäger und ihre griechischen Kollaborateure am 17. August 1944 125 Männer und fünf Frauen, brannten 112 Häuser des Stadtteils nieder und verhafteten 7.000 Menschen, die nach Chaidari eingeliefert wurden. 1.200 von ihnen wurden am folgenden Morgen nach Deutschland deportiert. Wie viele Menschen bei derartigen kriegs- und völkerrechtswidrigen Hinrichtungen von den Gebirgsjägern in Athen und Piräus ermordet wurden, ist nicht mehr festzustellen. (aus www.nadir.org)

3 Das Time-Magazine bezeichnete Griechenland als „Hungriest Country“ und berichtete am 9. Februar 1942, eine Woche zuvor habe in Athen ein Laib Brot umgerechnet 15 $ gekostet. Kartoffeln, Feigen, Rosinen und Tomaten seien zu keinem Preis mehr zu bekommen. Begleitet wurde die Situation durch zahlreiche Epidemien. Nach einem Jahr Besatzung fragen im April 1942 die in Griechenland erscheinenden „Deutschen Nachrichten“ hinsichtlich der extremen Auswirkungen der Wirtschaftspolitik: „Wird Griechenland überleben?“ Das US-amerikanische Life-Magazine berichtete in der Ausgabe vom 3. August 1942: Menschen sterben in Athen auf den Straßen, weil sie geschwächt durch den Hunger nicht mehr nach Essbarem suchen können. In einigen Gegenden sind 20 % der Bevölkerung seit Anfang des Jahres verhungert. Die Deutschen schlachten das Kalb, welches ihre Truppen mit Milch versorgt.“ … Die Schätzungen über die Zahl der Menschen, die in Griechenland während des Zweiten Weltkrieges an den direkten oder indirekten Folgen des Hungers starben, schwanken zwischen 100.000 und 450.000 Opfern. (Wikipedia)

4 Am 13. Dezember wurden alle Dorfbewohner zur Schule befohlen. Alle Frauen und Mädchen des Ortes sowie alle Jungen unter zwölf Jahren wurden im Schulgebäude eingeschlossen, dann wurde das Gebäude in Brand gesetzt. Ein österreichischer oder deutscher Soldat öffnete allerdings wieder mit seinem Gewehrkolben die verschlossene Hintertür der bereits lichterloh brennenden Schule, um den Eingeschlossenen die Flucht zu ermöglichen. Er wurde tags darauf standrechtlich erschossen. Ihm wurde in Kalavrita ein Denkmal errichtet. Alle Männer wurden oberhalb des Ortes geführt und dort mit Maschinengewehrfeuer hingerichtet. 13 Männer überlebten das Massaker, weil sie von den Deutschen für tot gehalten wurden. Der Ort wurde in Schutt und Asche gelegt. (Wikipedia)

5 Der Jurist Norman Paech schrieb 2000: „Trotz Hunderten von Ermittlungsverfahren wurde wegen Kriegsverbrechen in Griechenland nur ein Hauptverfahren vor dem Landgericht Augsburg eröffnet. Es ging um die Erschießung von sechs Zivilisten auf Kreta. Das Gericht übernahm den Standpunkt der Wehrmacht, (…), so qualifizierte das Landgericht diese Hinrichtungen als ‚völkerrechtliche Notwehr‘ und sprach den angeklagten Hauptmann frei … Alle Bundesregierungen einschließlich der jetzigen haben sich bisher geweigert, mit der griechischen Regierung in Verhandlungen über die ungelöste Frage der Entschädigung für die Opfer der damaligen Massaker einzutreten.“ (Wikipedia)

6 In Griechenland wurden Klagen von Angehörigen der Opfer auf Wiedergutmachung von Gerichten mit Verweis auf die Staatenimmunität – kein Land kann vor einem Gericht eines anderen Staates verklagt werden – abgewiesen. Am 15. Februar 2007 wies auch der Europäische Gerichtshof (EUGH) in Luxemburg Schadensersatzansprüche an Deutschland wegen des Massakers ab. Die Kläger hatten versucht, ihre Ansprüche juristisch auf ein EU-internes Übereinkommen über die Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aus dem Jahre 1968 zu stützen; dieses sah der EUGH in seinem Urteil für diesen Fall aber als nicht anwendbar. Im ähnlich gelagerten Fall um das Massaker von Distomo hat der Internationale Gerichtshof 2012 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Privatpersonen gegen einen Staat wegen des Grundsatzes Par in parem non habet imperium (Staatenimmunität) nicht klagen dürfen. (Wikipedia)

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Steki Metanaston

Foto: Giovanni Lo Curto

Foto: Giovanni Lo Curto

Thessaloniki, Donnerstag, 24.09.15

Wir haben heute in Thessaloniki das „Steki Metanaston“ besucht. Das ist ein Projekt, das von unterschiedlichen Gruppen genutzt und von ihnen selbst verwaltet, organisiert und finanziert wird.

Wir sprachen mit Jannis Papadopoulos von der antirassistischen Initiative von Thessaloniki.

Das Zentrum wird hauptsächlich von der antirassistischen Initiative genutzt, die auch die Idomeni-Aktionen gestartet hat. Idomeni ist ein Dorf an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien, durch das die Geflüchteten auf ihrem Weg nach Norden kommen. Dort herrschen unerträgliche Zustände. Die Menschen standen bei Wind und Wetter im Freien; das Zentrum hat zusammen mit der solidarischen Klinik dort u. a. Regenjacken und -schirme verteilt.

Jannis Papadopoulos und Brian Janßen. Foto: Giovanni Lo Curto

Jannis Papadopoulos und Brian E. Janßen.
Foto: Giovanni Lo Curto

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Es treffen sich dort noch einige LGBT-Gruppen; und eine Schule, die Nachhilfe in vielen Fächern sowie Griechisch-Unterricht für Migrant_innen gibt, hat dort ihre Räume.

Sie kochen gemeinsam und essen auch dort, jedes Wochenende. Von 10.30 Uhr bis 11.30 Uhr wird gekocht, von 14 bis 16 Uhr das Essen ausgegeben. Am Anfang kamen 30, jetzt kommen jedes Mal 120 bis 150 Leute, sonntags bis zu 200. Einmal kochten sie 580 Portionen an einem Wochenende, aber da waren auch alle Kapazitäten erschöpft. Ihr Ziel ist es auch, die Gäste mit einzubinden, zu motivieren, sich aktiv einzubringen, und sie waren damit auch schon erfolgreich.

Sie erhalten Spenden vom Großmarkt und von Lebensmittelläden, sammeln Lebensmittel. Außerdem haben sie einen Garten in Perka und versuchen sich im Selbstanbau von Gemüse (Urban Gardening). Sie konnten bereits eigene Bohnen ernten.

Salz und Öl müssen von Spendengeldern gekauft werden, da oft einfach nicht daran gedacht wird, das zu spenden. Das Zentrum gibt einen Kalender heraus, den sie gegen Spende verkaufen.

Sie verwalten das Zentrum selbst; jeden 2. Dienstag im Monat findet eine Vollversammlung statt, auf der die Entscheidungen getroffen werden. Im Winter zeigen sie Filme, meistens Low-Budget.

Sie fühlen sich durch Tsipras verraten und verkauft. Ausgerechnet an dem Tag, an dem das jährliche antifaschistische Festival stattfinden sollte, hat dieser das Memorandum unterschrieben. Sie haben daraufhin das Festival verschoben; es soll jetzt erst Mitte Oktober stattfinden.

Wir fragten nach dem griechischen Asylverfahren: Es gibt nur ein einziges Büro in Athen, in dem man ganze sieben Anträge pro Woche stellen kann. Die Wartezeit beträgt 6 Monate.

Die Migrationsgesetze, die das griechische Parlament unter der Syriza-Regierung verabschiedet hat, sind schlimmer als die bisherigen:

Wer eingebürgert werden will, muss nachweisen, dass seine/ihre Eltern fünf Jahre vor und fünf Jahre nach der Geburt in Griechenland gearbeitet haben! Wenn da nur ein paar Tage fehlen, wird der Antrag abgelehnt, so dass viele, obwohl sie in Griechenland geboren und aufgewachsen sind, nicht die griechische Staatsangehörigkeit erhalten.

Die Ex-Migrationsministerin kam aus sozialen Bewegungen, konnte aber nichts erreichen.

Die griechische Schiffsgesellschaft ANEK-Lines hat ein Schiff für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, um diese von den Inseln nach Piräus zu fahren, „damit der Tourismus nicht leidet“. Das Ticket kostet normalerweise 45 Euro, aber die Geflüchteten mussten 60 Euro bezahlen.

Seit 2010 ist nichts mehr normal. Die Geflüchteten müssen auf den Inseln z. T. 5 Euro bezahlen, um ihr Handy oder Smartphone aufladen oder um sich auf einen Stuhl setzen zu dürfen.

Eigentlich wäre es Aufgabe des Staates bzw. des UNHCR (Füchtlingshilfswerk der UNO), die Geflüchteten zu versorgen, aber wenn sich Gruppen wie die antirassistische Initiative und viele freiwillige Helfer_innen nicht darum kümmern würden, wären viele Flüchtlinge verhungert und verdurstet.

So hat beispielsweise eine 72-Jährige Sachen für die Flüchtlinge abgegeben. Sie hatte 50 Jahre lang Nea Dimokratia und Pasok gewählt und kam jetzt zu dem Schluss, dass das nichts nützt, sondern dass man selbst etwas machen, sich selbst um die Probleme kümmern muss.

Sie erhalten im Steki jeden Tag um die 100 Anrufe/Anfragen danach, was man machen, wie man sie unterstützen kann. Die Solidaritätswelle in Griechenland ist enorm.

Zur Rolle der Kirche: In der orthodoxen Kirche gibt es viele Faschisten; die Kirche kümmert sich gar nicht um die Geflüchteten (obwohl sie sehr reich ist!). Sie hatten angefragt, ob man nicht zumindest bei schlechtem Wetter die Kirchen für die Geflüchteten öffnen könne. Sie erhielten als Antwort, die würden die Kirchen beschmutzen. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber es sind einige wenige innerhalb der orthodoxen Kirche, die sich für Geflüchtete einsetzen.

Wenn noch mehr kommen, dann wissen sie auch nicht weiter („Gnade uns Gott!“). Staatliche Unterstützung gibt es gar nicht, die Gemeinde von Thessaloniki hat kein Geld.

Die Geflüchteten in Lagern unterzubringen, bringt gar nichts. Denn was hilft es einem Flüchtling, wenn er sechs Monate dort bleibt, ohne dass er weiß, ob sein Antrag genehmigt wird? Und wohin soll er denn gehen, wenn sein Antrag abgelehnt wird, wohin soll er denn zurückgeschickt werden?

Daher werden die Geflüchteten alles versuchen, um weiterzukommen, auf jede erdenkliche Weise. Kroatien hat die Grenze geschlossen. Das heißt, dass sich alle an der Grenze sammeln werden; die Frage ist, was dann passiert, ob sie gewaltsam aufgehalten werden. Wir hoffen, dass kein Blut fließen wird.

Das Steki Metanaston ist jeden Abend von 19 Uhr bis 24 Uhr geöffnet. Freitags wird Musik gespielt zur Unterstützung der Geflüchteten.

Foto: Giovanni Lo Curto

Foto: Giovanni Lo Curto

Sie befinden sich an einem historischen Ort: vor dem Gebäude wurde 1963 Grigoris Lambrakis, ein griechischer Abgeordneter der Vereinigung der Demokratischen Linken EDA, der sich für Frieden engagierte, von Faschisten ermordet. Neben dem Gebäude befindet sich ein Denkmal, das daran erinnert.

Website: http://socialcenter.espivblogs.net

(Brian)

Keerfa: Wie Antira und Antifa zusammen gehen können

Athen, Dienstag, 22.09.2015

KEERFA Foto: Giovanni Lo Curto

Petros Konstantopoulos, Koordinator von Keerfa
Foto: Giovanni Lo Curto

Um 15.30 Uhr macht sich eine kleine Gruppe von uns auf den Weg, um Keerfa, die „Bewegung gegen Rassismus und faschistische Bedrohung“ kennenzulernen. Wir sind gespannt, mehr über Hintergründe und Organisierung der  antirassistischen und antifaschistischen Szene in Athen und Griechenland zu erfahren. Einige aus unserer Reisegruppe hatten auch schon am Rande der Gedenkdemonstration für Pavlos Fissas am 18. September erste Gelegenheit für einen Informationsaustausch mit Antifa- und Antira-Gruppen.

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Auf Umwegen durch die Athener Altstadt kommen wir reichlich verschwitzt in dem verwinkelten Büro von Keerfa an, wo wir von Petros Konstantopoulos, dem Koordinator von Keerfa, herzlich begrüßt werden. Petros ist für Antarsia auch im Stadtrat und im Integrationsrat für Flüchtlinge von Athen.

Das Gespräch beginnt mit einer ausführlichen Vorstellungsrunde und
Carsten übergibt dabei auch unser Gastgeschenk – Partisan_innen-Poster aus Berlin.

Keerfa wurde 2009 als Zusammenschluss mehrerer Initiativen gegründet – hier laufen verschiedenste Kämpfe der letzten 20 Jahre zusammen und werden weitergeführt. Einige der zentralen Forderungen des Bündnisses sind:

  • Öffnung der Grenzen,
  • Staatsbürgerschaft für die Kinder von Migrant_innen,
  • volle politische, soziale und wirtschaftliche Rechte für Migrant_innen und Flüchtlinge,
  • das uneingeschränkte Recht auf Asyl.

Zu den Grundprinzipien von Keerfa zählt die Orientierung an den
Methoden des zivilen Ungehorsams, erläutert Petros.

Seit seiner Gründung führt das Bündnis gemeinsam mit migrantischen Organisationen einen Kampf gegen die faschistische Partei „Goldene Morgenröte“, dabei stellen sie sich den Faschist_innen sowohl auf der Straße, in den Nachbarschaften als auch in den Institutionen und im Parlament entgegen. Kein Übergriff der Faschist_innen, keine Kundgebung oder Demonstration der Goldenen Morgenröte soll unbeantwortet bleiben. Mit dem Einzug ins Parlament 2012 versuchte die Goldenen Morgenröte verstärkt, sich in den Nachbarschaften zu etablieren, unterstützt von der Nea Demokratia und mit Rückendeckung von Teilen der Polizeibehörden. Die Forderung nach einem Verbot faschistischer Parteien hält Petros heute jedoch für den falschen Weg, um die faschistische Ideologie eindämmen zu können.

Im weitesten Sinne leistet Keerfa zudem Antirepressions-Arbeit. Das Bündnis unterstützt Betroffene rassistischer und faschistischer Gewalt, erteilt Rechtsberatung, vermittelt Anwältinnen und Anwälte, dokumentiert Übergriffe und begleitet die Betroffenen bei der Anzeigenerstattung bei der Polizei. Durch die Dokumentierung und Veröffentlichung von faschistischen Übergriffen und der Untätigkeit der Polizei, die Angriffe zu verfolgen, sieht sich Keerfa nun selbst mit Strafanzeigen wegen Beleidigung des Staates konfrontiert.

Zur Bedrohung durch die Goldene Morgenröte erzählt uns Petros noch, dass, nachdem die Partei 2010 ins Athener Stadtparlament und 2012 ins Nationalparlament einzog, besonders 2013 viele Aktionen und Angriffe der Faschist_innen folgten, mit denen sie ihren Machtzuwachs demonstrieren wollten. Die bekannteste darunter war die Ermordung von Pavlos Fissas, die eine breite Mobilisierung auslöste, die weit über das linksorientierte Spektrum und die antifa-/antira-Szene hinausging und erstmals in großer Zahl auch Migrant_innen-Gruppen einschloss. Aber schon im Januar 2013, nach der Ermordung eines 27-jährigen Mannes aus Pakistan, gingen in Athen 20.000 Menschen auf die Straße, um gegen die faschistische Gewalt zu protestieren. Der Sarg des Ermordeten wurde vor dem Rathaus in Athen aufgebahrt und es wurde Geld gesammelt, um den Sarg nach Pakistan überführen zu können. Durch die Mobilisierungen seit 2013 konnte die faschistische Szene geschwächt werden – das Wahlergebnis der Goldenen Morgenröte lag bei der Wahl vom 20.09.2015 „nur noch“ bei 7%.

Foto: Giovanni Lo Curto

Petros Konstantopoulos, Koordinator von Keerfa antwortet die Fragen von Christina.
Foto: Giovanni Lo Curto

Organisierung von Keerfa

Keerfa ist in 55 Komitees mit circa 3.000-3.500 Leuten über Griechenland verteilt organisiert. Das Bündnis arbeitet dabei mit verschiedensten anderen Organisationen, zum Beispiel Gewerkschaften und LGTBI-Gruppen zusammen und kann so teilweise viel mehr Leute mobilisieren. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Lehrer_innen- und Ärzt_innen-Gewerkschaften hat dazu geführt, dass illegalisierte Kinder Zugang zu Gesundheitsversorgung und Schulen bekommen haben.

Ein wichtiges Aktionsfeld von Keerfa ist zudem die Flüchtlings-Unterstützung. Keerfa sammelt Spenden und Nahrungsmittel, berät Geflüchtete rechtlich, unterstützt Streikaktionen der Geflüchteten und die politischen Forderungen nach einem Ende der Lagerunterbringung und das Recht auf Asyl sowie Bewegungsfreiheit.

Zu Ende unseres Besuches werden wir zu zwei internationalen Treffen in Athen eingeladen, die für den 10./11.Oktober und den 21.03.2016 geplant sind. Andi übergibt 500 Euro Spendengelder.

Beeindruckt von der Bandbreite der Themen und Aktionsfelder der Bewegung verabschieden wir uns von Petros.

Weitere Infos unter www.antiracismfacism.org.

(Christina)

Besuch bei Manolis Glezos

Manolis Glezos Foto:Giovanni Lo Curto

Manolis Glezos Foto: Giovanni Lo Curto

Mittwoch 23.9.2015

Während der größte Teil der Gruppe sich auf den Weg nach Piräus zur
Hafenarbeitergewerkschaft machte, fuhren Rolf, Giovanni und ich in den Athener Norden, um Manolis Glezos zu treffen. Rolf hatte sich ja am 1. und 2. Mai beim Besuch von Glezos in Hamburg intensiv um ihn gekümmert und hatte auch bei der Veranstaltung im Rathaus mit ihm auf dem Podium gesessen. Eurydike hatte das Treffen organisiert und war dabei, so konnte sie übersetzen. Wir setzten uns in den kleinen Garten im Hinterhof und Georgia, seine Frau, brachte uns Wasser und etwas Süßes. Zuerst machte Giovanni Fotos für das Berliner Komitee „Deutschland muss bezahlen“, das sich auf Glesos‘ Initiative bei seinem Berlin-Besuch im Mai gegründet hatte. Dann signierte er noch ein paar Schwarzbücher zum deutschen Besatzungsterror in Griechenland für die Initiative als Geschenk.

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Wir kamen natürlich auch auf die aktuelle Lage zu sprechen, Manolis war ja bis vor kurzem Europaabgeordneter für Syriza. Er ist jetzt auch ausgetreten, nachdem er „bis zum letzten Moment“ drin geblieben war und u.a. in Telefonaten versucht hatte, Tsipras von seinem Kurs abzubringen. „Aber er hat mich ausgetrickst.“

Sein Urteil über die neue Regierung ist eindeutig: „Es ist eine Regierung der herrschenden Klasse.“ Punkt. Ohne Wenn und Aber.

An der bisherigen Syriza-Regierung kritisiert er an zwei Beispielen. Syriza habe versprochen, die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik wiederherzustellen. Das habe sie nicht gemacht. Frühere Regierungen hätten die Autonomie der Gemeinden eingeschränkt, so dass deren Spielräume immer kleiner geworden wären. (Glezos war ja mal Bürgermeister in einer kleinen Gemeinde und führte dort direkte Demokratie ein.) Syriza habe diese Gesetze nicht zurückgenommen. (Im Gegenteil: Sie räumte die Kassen u.a. der Gemeinden leer, um Geld für den Schuldendienst aufzubringen.)

Ich fragte ihn nach seiner in der Öffentlichkeit nicht verstandenen Äußerung, er unterstütze die Volkseinheit, aber wähle KKE. (Viele sagten, na ja, der alte Mann ist jetzt etwas verwirrt.) Er sagte, er unterstütze die Volkseinheit als Unabhängiger. Aber es gebe zwei linke Gruppen, die zusammenarbeiten müssten. Eben die Volkseinheit und die KKE. Deshalb habe er das so gesagt. Damit wolle er anzeigen, dass die Spaltung in der Linken aufgehoben werden müsse. Auf einmal klang diese Äußerung nicht mehr verwirrt, sondern ziemlich intelligent.

Besuch bei Manolis Glezos Foto: Giovanni Lo Curto

Besuch bei Manolis Glezos
Foto: Giovanni Lo Curto

Zu der Position vieler linker Gruppen, man müsse aus der EU austreten, weil sie ein kapitalistisches Bündnis sei, sagte er, das gelte für Griechenland auch. „Warum treten sie dann nicht aus Griechenland aus?“

Zur KKE meinte er, für sie gelte, was für viele KPs auch gelte. Sie sagten, wenn sie gewählt würden, wäre das Volk an der Macht, tatsächlich aber sei die Partei an der Macht. Er sei oft in der Sowjetunion gewesen. Die Menschen hatten dort alles: Arbeit, Bildung, Gesundheit, genug zu essen usw. Nur eines hatten sie nicht: etwas zu sagen. Wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass das Volk an die Herrschaft komme mit Hilfe der kommunistischen Partei, dann würden sie diese auch unterstützen.

Zum Schluss erzählte er uns, dass gestern der Erzbischof ihn besucht habe. Nach dem Gespräch habe der Bischof gesagt, das sei ihm eine Offenbarung – „Apokalypse“ – gewesen, was er ihm auch in ein Buchgeschenk hineinschrieb. Uns interessiert natürlich, was für eine Offenbarung das gewesen sei. Das verriet er uns allerdings nicht.

(Manfred)