Mittwoch 23.9.2015
Während der größte Teil der Gruppe sich auf den Weg nach Piräus zur
Hafenarbeitergewerkschaft machte, fuhren Rolf, Giovanni und ich in den Athener Norden, um Manolis Glezos zu treffen. Rolf hatte sich ja am 1. und 2. Mai beim Besuch von Glezos in Hamburg intensiv um ihn gekümmert und hatte auch bei der Veranstaltung im Rathaus mit ihm auf dem Podium gesessen. Eurydike hatte das Treffen organisiert und war dabei, so konnte sie übersetzen. Wir setzten uns in den kleinen Garten im Hinterhof und Georgia, seine Frau, brachte uns Wasser und etwas Süßes. Zuerst machte Giovanni Fotos für das Berliner Komitee „Deutschland muss bezahlen“, das sich auf Glesos‘ Initiative bei seinem Berlin-Besuch im Mai gegründet hatte. Dann signierte er noch ein paar Schwarzbücher zum deutschen Besatzungsterror in Griechenland für die Initiative als Geschenk.
Wir kamen natürlich auch auf die aktuelle Lage zu sprechen, Manolis war ja bis vor kurzem Europaabgeordneter für Syriza. Er ist jetzt auch ausgetreten, nachdem er „bis zum letzten Moment“ drin geblieben war und u.a. in Telefonaten versucht hatte, Tsipras von seinem Kurs abzubringen. „Aber er hat mich ausgetrickst.“
Sein Urteil über die neue Regierung ist eindeutig: „Es ist eine Regierung der herrschenden Klasse.“ Punkt. Ohne Wenn und Aber.
An der bisherigen Syriza-Regierung kritisiert er an zwei Beispielen. Syriza habe versprochen, die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik wiederherzustellen. Das habe sie nicht gemacht. Frühere Regierungen hätten die Autonomie der Gemeinden eingeschränkt, so dass deren Spielräume immer kleiner geworden wären. (Glezos war ja mal Bürgermeister in einer kleinen Gemeinde und führte dort direkte Demokratie ein.) Syriza habe diese Gesetze nicht zurückgenommen. (Im Gegenteil: Sie räumte die Kassen u.a. der Gemeinden leer, um Geld für den Schuldendienst aufzubringen.)
Ich fragte ihn nach seiner in der Öffentlichkeit nicht verstandenen Äußerung, er unterstütze die Volkseinheit, aber wähle KKE. (Viele sagten, na ja, der alte Mann ist jetzt etwas verwirrt.) Er sagte, er unterstütze die Volkseinheit als Unabhängiger. Aber es gebe zwei linke Gruppen, die zusammenarbeiten müssten. Eben die Volkseinheit und die KKE. Deshalb habe er das so gesagt. Damit wolle er anzeigen, dass die Spaltung in der Linken aufgehoben werden müsse. Auf einmal klang diese Äußerung nicht mehr verwirrt, sondern ziemlich intelligent.
Zu der Position vieler linker Gruppen, man müsse aus der EU austreten, weil sie ein kapitalistisches Bündnis sei, sagte er, das gelte für Griechenland auch. „Warum treten sie dann nicht aus Griechenland aus?“
Zur KKE meinte er, für sie gelte, was für viele KPs auch gelte. Sie sagten, wenn sie gewählt würden, wäre das Volk an der Macht, tatsächlich aber sei die Partei an der Macht. Er sei oft in der Sowjetunion gewesen. Die Menschen hatten dort alles: Arbeit, Bildung, Gesundheit, genug zu essen usw. Nur eines hatten sie nicht: etwas zu sagen. Wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass das Volk an die Herrschaft komme mit Hilfe der kommunistischen Partei, dann würden sie diese auch unterstützen.
Zum Schluss erzählte er uns, dass gestern der Erzbischof ihn besucht habe. Nach dem Gespräch habe der Bischof gesagt, das sei ihm eine Offenbarung – „Apokalypse“ – gewesen, was er ihm auch in ein Buchgeschenk hineinschrieb. Uns interessiert natürlich, was für eine Offenbarung das gewesen sei. Das verriet er uns allerdings nicht.
(Manfred)