Wir veröffentlichen eine Erklärung der Gewerkschaft Buch und Papier – Griechenland

HINTER DEM MYTHOS DER ERFOLGSSTORY DER HERRSCHENDEN GIBT ES IN  GRIECHENLAND AUCH DIE REALITÄT DES SCHMERZES, DES ELENDS UND DES WIDERSTANDS DES VOLKES

Wir wenden uns an euch, die Werktätigen, die Arbeitslosen und die alltäglichen Menschen in Deutschland. Sicherlich gab es viel über Griechenland zu hören. Doch das, was ihr üblicherweise erfahrt, ist die Sichtweise der Mächtigen, verbreitet von der politischen Elite und den herrschenden Massenmedien. Es wurde erzählt, die Arbeitnehmer_innen in Griechenland seien faul, sie bekämen hohe Rentenbezüge, erhielten hohe Gehälter usw. Wir möchten, dass ihr unsere Stimme hört, die Stimme „der Unteren“, der Basisgewerkschaft einer kleinen Branche. Nicht nur in den letzten vier Jahren stemmen wir uns gegen die Barbarei der Memoranden, sondern auch die Jahre davor kämpften wir für die Interessen und Rechte der Arbeiter_innen.

Heute, vier Jahre nach Ankunft der Troika und Beginn der Memoranden gibt es 1.5 Mio. Arbeitslose (30%). Von ihnen haben nur 10% Anrecht auf eine einjährige Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 369 Euro im Monat. Danach steht wiederum einer sehr begrenzten Anzahl von ihnen nichts weiter zu als Anwendungen von 300-400 Euro im Jahr. Arbeitslose haben einen Anspruch auf Gesundheitsversorgung bis zu zwei Jahren nach Ablauf der Arbeitslosenunterstützung. Dies hat zur Folge, dass der Großteil der Langzeitarbeitslosen und ihrer Familienmitglieder nicht krankenversichert sind.

– In diesen vier Jahren wurden den Lohnabhängigen 37 Milliarden Euro entzogen. Diese ungeheure Summe, die den Gehältern der Beschäftigten im öffentlichen und privaten Bereich entzogen wurde, geriet außer einem geringen Teil, der der Staatskasse zukam, in die Taschen der Bosse. Diese gewaltsame Einkommensumverteilung zu Gunsten des Kapitals ist als „Reform, Umstrukturierung und Strukturveränderung“ bezeichnet worden. Die Tarifverträge sind aufgehoben, die Kündigungsabfindungen sind halbiert und ein Mindestbruttolohn von 580,- Euro für die über 25jährigen und 520,- für die unter 25jährigen ist festgesetzt worden. Einzelverträge sind die Waffe der Arbeitgeber geworden, mit denen sie Lohnminderungen durchsetzen. Unter Androhung der Entlassung wurden die Lohnabhängigen erpresst sie zu unterschrieben.

– Das frühere Arbeitsrecht Griechenlands (Ergebnis der Klassenkämpfe im vorhergehenden Zeitraum), das die Lohnabhängigen teilweise schützte, ist inzwischen komplett ausgehebelt. Jeder Besuch der Troika brachte außer den Forderungen der „Gläubiger“ auch die Forderungen bestimmter Teile des Kapitals. Reeder, Bänker, Großhändler und Industrielle defilierten auf den Gängen der Hotelsuiten, in denen die „Troikaner“ übernachteten und ihre Forderungen wurden zu „Voraussetzungen“ für die Auszahlung der nächsten Darlehensrate umgetauft. Zwischenzeitlich ist ein Zustand erreicht worden, in dem DIE ARBEITNEHMER_INNEN KEINE RECHTE, DER STAAT UND DIE ARBEITGEBER KEINE VERPFLICHTUNGEN HABEN.

– Keiner spricht heute mehr darüber, dass 800.000 von den geschätzten 1.400.000 Arbeitnehmer_innen im privaten Dienst drei bis sogar fünfzehn Monate lang unbezahlt sind. Wir sprechen hier über die Mehrheit der Arbeitnehmer_innen im privaten Bereich, die im besten Fall monatliche Abschlagszahlungen erhalten. Um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren, müssen sie diesen unzumutbaren Zustand erdulden, stattdessen nimmt der Staatsapparat die Arbeitgeber in Schutz.
Das führt dazu, dass Tausende kaum überleben können, obwohl sie beschäftigt werden.

– 80% der Rentner_innen in Griechenland erhalten Rentenbezüge von 400-800 Euro. Das sind die sogenannten „hohen Renten“, die gezahlt werden. Doch die Rentenkassen werden mit Sicherheit in den Bankrott getrieben, da ihre Rücklagen (in Form von staatlichen Wertpapieren) bei der „Schuldenkürzung“ verloren gingen und die Arbeitgeber ihre Beitragsanteile nicht abführen. Die Schulden der Unternehmen am größten Versicherungsträger betragen viele Milliarden, aber der Staat unternimmt dagegen nichts.

– Im Bereich der Gesundheitsversorgung erfolgt ein Zusammenbruch: Krankenhäuser werden geschlossen, Ärzte und Pflegepersonal werden entlassen, Kranke können nicht behandelt werden, da sie nicht versichert sind, zudem können sie sich auch keine Medikamente leisten. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist um drei Jahre gesunken. An chronischen Leiden Erkrankte müssen wegen Geldmangels ihre Therapien unterbrechen. Der Anteil der Bevölkerung, der an depressiven Verstimmungen leidet, stieg um 45%, während die Ausgaben für die psychiatrische Versorgung um 55% gesenkt wurden.

Wir könnten eine Menge von Daten über die Verdoppelung der Obdachlosen, den Zerfall des öffentlichen Ausbildungssystems, die unterernährten Schüler_innen, die Menschen, die im Müll nach verwertbaren Nahrungsmittel stöbern usw. angeben. Wir könnten viel erzählen über die Reeder und ihre Geschäfte, die Oligarchen der Medien und der Banken, die trotz der Pleite ihrer Unternehmen sich mit staatlichen Darlehen über Wasser halten, über die TV-Nachrichtenstars der großen Fernsehsender, die mit Gagen von hunderttausenden Euro entlohnt werden, um die Propaganda des IWF, der EU und der Herrschenden zu vermitteln.
Wir könnten auch über die Troika sprechen, über die Vertreter der Gläubiger, die unter sich die Wasser- und die Energieversorgung, die Telekommunikationen und jedes öffentliche Gut wie gemeine Plünderer aufteilen.

ES GIBT JEDOCH AUCH DEN WIDERSTAND

Außer der Dunkelheit der Memoranden gibt es aber auch Menschen, die sich zu wehren versuchen und Zentren des Widerstands bilden. Sie stützen sich auf ihre eigenen Kräfte, um den Kampf zu entwickeln und ihr Leben zu verteidigen. Arbeiterverbände, Nachbarschaftskollektive, selbstorganisierte Gesundheitszentren und Apotheken, kollektive Küchen, Solidaritätskassen und genossenschaftliche Unternehmungen sind einige der Formen des Widerstandes, denn es gibt nicht nur die Großveranstaltungen, die Auseinandersetzungen und die Unmengen von Gasen, die die Polizei dabei einsetzt. Besonders betont soll hier auch die Bildung von antifaschistischen und antirassistischen Gruppen in vielen Stadtteilen Athens, aber auch in ganz Griechenland.

ARBEITNEHMER_INNEN, ARBEITSLOSE UND JUGENDLICHE, DIE IHR IN DEUTSCHLAND LEBT; WIR WOLLEN NICHT EUER MITLEID UND EURE WOHLTÄTIGKEIT; WIR WOLLEN EURE KLASSENSOLIDARITÄT!
Und alle diese Kredite, die Griechenland gewährt wurden? Alle diese Milliarden, die euch gegeben wurden, könnte uns jeder gutgläubige Arbeitnehmer eines anderen Landes fragen. Die Antwort ist einfach: Das ganze Geld wurde nur gegeben, damit die europäischen, amerikanischen und anderen Banken ihr Kapital nicht verlieren. Damit griechische Bänker und Oligarchen gerettet werden. Nicht ein Euro erreichte die Krankenhäuser, die Schulen und den öffentlichen Dienst in Griechenland. Nicht ein Euro gab man den Werktätigen und den Arbeitslosen. So konnten die großen europäischen Banken die griechischen Wertpapiere loswerden und die Arbeitnehmer_innen Griechenlands zu Versuchstieren für das neues Arbeits- und Herrschaftsmodell werden, das „die von oben“ durchsetzen wollen.

Sollte der in Griechenland und in den anderen Ländern des europäischen Südens laufende Versuch als erfolgreich eingeschätzt werden, so wird das sehr bald auch für euch Folgen haben. Die Kräfte des Kapitals versuchen ein neues Arbeitsmodell, ein neues Modell von Arbeitnehmer aufzuzwingen. In diesem Modell wird eine feste und dauerhafte Beschäftigung der Vergangenheit angehören. Es wird einen laufenden Wechsel zwischen Arbeit, Teilzeit und Arbeitslosigkeit geben und der Begriff der Arbeitsrechte und des sozialen Lohns wird zunehmend verschwinden. Der Lohn wird eher einem Taschengeld als einem Gehalt gleichen. Die kontinuierliche Kontrolle und Disziplinierung der Beschäftigten mit Hilfe der Möglichkeiten der neuen Technologien wird mit der ständigen Konkurrenz unter ihnen verbunden sein.

In Griechenland wird den Beschäftigten gesagt, sie sollten die Maßnahmen annehmen, denn sie müssten wettbewerbsfähig gegenüber den Spaniern, den Deutschen, den Portugiesen, den Bulgaren usw. werden. Und fragt jemand: wozu die Wettbewerbsfähigkeit gut sei, so lautet die Antwort: „Damit das Unternehmen Gewinn macht, damit die Heimat einen Vorteil hat, damit wir alle davon profitieren.“ das ist die Erklärung für das, was wir heute erleben: Der Gewinn der Unternehmen. Für diesen Gewinn müssen wir miteinander konkurrieren, müssen wir leiden, und werden ganze Völker geopfert. Wir sagen den Arbeitnehmer_innen in Deutschland, dass die beste Solidarität mit den griechischen Arbeitnehmer_innen, die folgende ist: Kämpft für Lohnerhöhung und die Ausweitung eurer Rechte in eurem Land. Kämpft mit uns gemeinsam für eine Gesellschaft der Freiheit und Gleichheit, in deren Mittelpunkt der Mensch und seine Bedürfnisse stehen und nicht die Gewinne des Kapitals.

GEWERKSCHAFT BUCH UND PAPIER